Der vietnamesische buddhistische Mönch, Schriftsteller und Lyriker Thich Nhat Hanh beschreibt in seinen Werken das Intersein.
Im Englischen prägte er den Begriff »interbeing« bzw. »to interbe«, um das Zusammenwirken der Dinge zu charakterisieren. Im deutschen Sprachgebrauch wird entsprechend der Begriff »Intersein« verwendet.
Es bedeutet, dass alles mit allem verbunden ist. Es geht um die Verwobenheit sämtlicher Phänomene, das Eingebettet-Sein aller Dinge in ein komplexes Netz von Beziehungen. Alles existiert nur im Rahmen solcher Beziehungen. Alles unterliegt vielfachen Bedingtheiten.
Intersein erklärt von Thich Nhat Hanh
Am besten lässt sich das durch ein Beispiel und mit den Worten Thich Nhat Hanhs erklären:
“Seht ihr die Wolke, die in diesem Stück Papier schwebt?
Wenn ihr genau hinschaut, könnt ihr sie sehen. Ohne die Wolke gibt es keinen Regen, ohne Regen können die Bäume nicht wachsen, und ohne Bäume können wir kein Papier herstellen. Für die Existenz des Papiers ist die Wolke unverzichtbar. Wenn die Wolke nicht ist, kann auch das Stück Papier nicht sein.
Wir können also sagen, dass die Wolke und das Papier sich gegenseitig bedingen und durchdringen, dass sie »inter-sind«.
Untersuchen wir dieses Stück Papier näher, so können wir auch den Sonnenschein darin sehen. Gibt es keinen Sonnenschein, kann der Wald nicht wachsen und alles andere auch nicht. Daher wissen wir, dass auch der Sonnenschein in diesem Papier ist und dass beide sich wechselseitig bedingen und durchdringen.
Schauen wir noch genauer hin, so sehen wir auch den Holzfäller, der den Baum fällt und ihn zur Mühle bringt, damit aus dem Baum Papier werden kann. Und wir sehen den Weizen. Uns ist klar, dass der Holzfäller ohne sein tägliches Brot nicht leben kann, und daher ist auch der Weizen, aus dem sein Brot gebacken wird, in diesem Stück Papier enthalten – genauso wie Mutter und Vater des Holzfällers.
Betrachten wir das Stück Papier auf diese Weise, so erkennen wir, dass es ohne all diese Dinge überhaupt nicht existieren kann. Schauen wir noch genauer hin, so sehen wir auch uns selbst darin. Das ist gar nicht so schwer zu verstehen, denn wenn wir ein Stück Papier betrachten, so wird es ja Teil unserer Wahrnehmung. Euer Geist befindet sich genauso darin wie meiner. So können wir schließlich sagen, dass alles in diesem Stück Papier enthalten ist. Nichts gibt es, das nicht darin ist – Zeit, Raum, die Erde, der Regen, die Mineralien, der Sonnenschein, die Wolke, der Fluss, die Hitze. Alles existiert gleichzeitig in diesem Stück Papier. Das Stück Papier ist, weil alles andere ist.
Angenommen, wir versuchen, eines der Elemente wegzunehmen und zu seinem Ursprung zurückzubringen – zum Beispiel den Sonnenschein zurück zur Sonne. Glaubt ihr, dass die Existenz des Stück Papiers dann noch möglich ist?
Nein, denn ohne Sonnenschein kann nichts sein. Und bringen wir den Holzfäller zurück zu seiner Mutter, so haben wir ebenfalls kein Stück Papier mehr. Tatsächlich besteht dieses Stück Papier nur aus »Nicht-Papier-Elementen«. Und wenn wir diese Nicht-Papier-Elemente zurück zu ihren Ursprüngen bringen, dann gibt es überhaupt kein Papier mehr. Ohne Nicht-Papier-Elemente wie Geist, Holzfäller, Sonnenschein usw. ist kein Papier möglich.
So dünn dieses Stück Papier auch sein mag, es enthält das ganze Universum in sich.“
Quelle: Thich, Nhat Hanh: Mit dem Herzen verstehen [Übers, aus dem Amerikanischen ins Dt.: Ursula Richard]. – 8. überarb. Aufl. – Berlin : Theseus-Verlag, 2003 | www.Theseus-Verlag.de
Was hat Intersein mit mir und dem Internet zu tun?
Im allgemeinen reagieren Europäer, die das zum ersten Mal hören ungefähr so:
“Na, das ist doch logisch. Hätte es keinen Urknall gegeben, wäre mir gestern nicht mein Fahrrad geklaut worden” oder “Was soll der Quatsch?! Wenn die Mutter des Holzfällers nicht geboren worden wäre, dann hätte halt jemand anders das Papier gemacht. Und überhaupt, ich will eine Website und kein buddhistischer Mönch werden!”
Schon klar.
Auf was ich hinaus will, das wir im Internet sehr deutlich sehen können, wie alles miteinander verwoben ist und vor allem, welche Auswirkungen unser Tun und Handeln haben kann.
Kein Medium zeigt uns so deutlich die Konsequenzen unseres Tuns und die Macht, die wir da plötzlich in den Händen halten. Mächtiger als jede Atombombe!
Ein hypothetisches Beispiel:
Ich stelle ein Video in Youtube ein, in dem ich zeige, wie man einen Webshop erstellt und ihn so modifiziert, dass man Tickets für Veranstaltungen verkaufen kann.
Ein Kollege sieht dieses Video und vertieft nun seine Kenntnisse. Erstellt einen Webshop für eine Kundin, die Kochkurse anbietet – unter anderem einen Kochkurs für Kinder, in dem es um Weihnachtsbäckerei geht. Aufgrund verschärfter Corona-Auflagen findet dieser Kurs online über Zoom statt. Der Shop ist erstellt, das Produkt ist online und eine alleinstehende Mutter beschließt für sich und Ihre beiden Kinder in der Vorweihnachtszeit etwas besonderes zu machen. Sie bucht den Kurs, in dem es um Backwerk geht, das sie so noch nicht kannte.
Gemeinsam mit einer Lehrerin, die hunderte Kilometer weit entfernt ist, backen sie und Ihre Kinder gemeinsam die leckersten Plätzchen.
Es bedurfte einiger Überredungskunst, die Kinder überhaupt zum Backen zu bewegen. Am liebsten sitzen die nämlich vor ihrer Spielekonsole und zocken. Draußen darf man sowieso nichts machen und das Wetter ist auch nicht toll. Backen ist doch langweilig. Hey, aber wir machen das Ganze mit einer echten Köchin über einen Video-Call. Die wohnt in Stuttgart und backt mit uns zusammen! Wir sitzen hier in Hamburg und hey: Die Köchin ist voll bekannt. Die hat sogar einen eigenen YouTube-Kanal.
Die Kinder werden neugierig.
Beim Einkaufen der Zutaten für das Online-Backen – die Kinder blieben natürlich zu Hause um zu zocken – rauscht die nach den Zutaten Suchende mit dem Einkaufswagen eines Mannes mittleren Alters zusammen, der selbst alleinstehender Vater einer Tochter ist und die beiden kommen ins Gespräch … Sie erzählt von dem Online-Back-Kurs für Kinder. Er ist begeistert und beschließt für sich und seine Tochter denselben Kurs zu buchen. Aber nicht nur das. Auch nach Weihnachten treffen sich die beiden und ein Jahr später heiraten sie und ….
Ok, jetzt wird’s schräg. Auf was ich hinaus will ist folgendes:
In dem ich ein Youtube Video online stelle, in dem ich zeige, wie man über einen WooCommerce-Shop Tickets verkauft – so kann ein Teil von mir in jedem Plätzchen sein, dass ein paar Kids irgendwann und irgendwo aus dem Ofen ziehen. Ich bin ein Teil Ihres Lebens geworden und sie ein Teil von meinem. Ohne das wir uns kennen oder gar voneinander wissen. Und das müssen wir auch nicht. Wir sind “inter”.
Intersein gibt unserer Arbeit Wert und uns Verantwortung
Haben wir das verstanden, spüren wir was unsere Arbeit so wertvoll macht und wir erkennen, welche Verantwortung wir übernehmen. Es zeigt, dass wir alle in Beziehung stehen und miteinander vernetzt sind.
Sehr oft habe ich im Laufe der letzten Jahre Fragen von Abonnenten meines Youtube-Kanals bekommen, die mit dem Satz schlossen: “Und danke für Deine tollen Videos. Ich habe schon so viel von Dir gelernt.”
Mal abgesehen davon, dass mir das runter geht wie Öl und ich jahrelang der felsenfesten Überzeugung war, dass es keine Sau interessiert, was ich zu sagen habe, zeigt es doch, wie verbunden wir sind. Zunächst ohne voneinander zu wissen. Und es zeigt auch, welche Macht und Verantwortung wir haben, wenn wir uns zeigen.
Als ich vor 20 Jahren die Leitung einer Internet-Abteilung übernahm, brachten wir eine Werbekampagne auf den Markt. Ein Plakat zeigte eine junge Frau die eine halbe Weltkugel als Hut trug. Darunter hatte ich geschrieben:
Denken Sie immer daran: Die halbe Welt kann Sie sehen! Wie möchten Sie gesehen werden?
Das hat sich bis heute nicht geändert! Und ich verwende diesen Satz heute noch. Egal was wir tun: Wir sollten einfach nur achtsam arbeiten und uns unseres “Interseins” im “Internet” bewusst sein.
Ommm…
Viel Spaß, Euer Frank
Quellen:
Inter-Sein gelesen von Fritz Stavenhagen
Mit dem Herzen verstehen von Thich Nhat Hanh
Das Herz von Buddhas Lehre von Thich Nhat Hanh